Das wachsende System-Risiko im deutschen Baukredit

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Viele Deutsche finanzieren ihre Immobilie nicht mehr solide: Wenig Eigenkapital und niedrige Tilgung – anders können sie sich Haus oder Wohnung nicht leisten. Das ist riskant. Auch für das System.

 

Wenn sich ein deutscher Häuslebauer den Traum von den eigenen vier Wänden erfüllt, dann tut er dies grundsolide. Er fängt schon zu Schulzeiten mit dem Sparen an, zahlt mit 30 Jahren die Kaufnebenkosten in bar und finanziert nur 70 Prozent des Hauspreises mit einem Kredit. In den Jahren und Jahrzehnten danach verdient er regelmäßig genug, um alles wieder schön nach Plan abzuzahlen. Die wohlverdiente Rente verbringt er dann als „Eigenheimer“ zufrieden auf der Bank im Vorgarten.

So das Klischee. Und häufig stimmt das Bild des braven Häuslebauers auch noch. Aber immer häufiger eben auch nicht mehr. Denn nicht jeder hat das Glück, viel Geld zu erben, von wohlhabenden Eltern Finanzspritzen zu erhalten oder eine geradlinige Arbeitsbiografie mit stets hohem Einkommen vorweisen zu können. Und gleichzeitig steigen die Preise für Wohneigentum wegen niedriger Zinsen und hoher Nachfrage immer weiter.

Preise für Eigentum steigen seit Jahren

Das Marktforschungsunternehmen F+B veröffentlichte gerade eine aktuelle Preisstatistik, der zufolge sich Eigentumswohnungen innerhalb von nur drei Monaten um 2,2 Prozent und Einfamilienhäuser um 1,8 Prozent verteuert haben. Im Jahresvergleich stiegen die Preise um stattliche 7,1 beziehungsweise um 5,2 Prozent. Das ist ein Vielfaches der normalen Inflation. Wenn man den Zeitraum nur ein wenig ausdehnt, wird das Ausmaß des Immobilienbooms in Deutschland erst richtig deutlich: In den letzten fünf Jahren verteuerten sich Eigentumswohnungen laut F+B im Durchschnitt um 31 Prozent, seit 2006 um ganze 40 Prozent.

Für viele Haushalte sind Wohnungspreise jenseits der 300.000-Euro-Grenze nicht mehr so einfach zu stemmen, zumal wegen hoher Grunderwerbsteuer und Maklerkosten auch die Kaufnebenkosten immer weiter ansteigen. Der einzige Ausweg: weniger Eigenkapital in den Kredit einbringen und ein bisschen weniger tilgen, damit die monatliche Rate aus Zins und Tilgung gerade noch mit dem Gehalt bezahlbar ist.

Hier lauert eine Gefahr, die dem Kreditexperten Hans-Joachim Dübel zufolge sogar zu einer echten Systemkrise führen könnte. Mit seinem Unternehmen Finpolconsult berät Dübel Regierungen auf der ganzen Welt. Er war früher bei der Weltbank tätig und beschäftigt sich intensiv mit der Hausfinanzierung in Europa. „Ein typisches Muster ist: Bei sinkenden Zinsen und steigender Nachfrage steigen auch die Immobilienpreise massiv an“, sagt Dübel. „Um weiterhin im Geschäft zu bleiben, sind die Banken gezwungen, die Kreditstandards immer weiter abzusenken.“

Die Kreditlaufzeit ausblenden

Zu diesen sinkenden Standards gehöre beispielsweise, dass man ein bisschen häufiger als sonst einen geringeren Eigenkapitalanteil akzeptiert. Oder auch eine niedrige anfängliche Tilgung anbietet. Und vor allem: die tatsächliche Kreditlaufzeit vollkommen ausblendet – ein Fehler, der vielen Schuldnern unterläuft. Genau das ist die Achillesferse des klassischen deutschen Annuitätendarlehens mit fester Zinsbindung: Fällt bei niedrigen Zinsen auf Dauer die Tilgung zu niedrig aus, schafft man es zu Lebzeiten nicht, das Darlehen zurückzuzahlen. Denn je niedriger die Tilgung, desto länger die Laufzeit.

Wer sich beispielsweise 300.000 Euro Baugeld bei der Bank leiht, zu 1,5 Prozent Zins und 3,5 Prozent Tilgung, ist schon nach 25 Jahren schuldenfrei. Senkt man den Tilgungsanteil jedoch auf 1,5 Prozent, verlängert sich die Laufzeit auf fast 50 Jahre. Für den Kreditnehmer, aber auch für Banken und Sparkassen sind solche Zeiträume gar nicht mehr überschaubar.

„Irgendwann ist ein Punkt erreicht, ab dem fallende Margen, zunehmende Beleihungsausläufe und extreme Kreditlaufzeiten mit stagnierenden Preisen zusammentreffen“, warnt Kreditexperte Dübel. Das sei ein typisches Zeichen für die Spitze des Preiszyklus und empirisch in vielen europäischen Ländern nachweisbar.

Läuft der Markt heiß?

Auch in Deutschland häufen sich die Signale, dass der Markt heiß läuft. Projektentwickler und Bauträger in Berlin beispielsweise, die über befreundete Firmen gleich auch eine Finanzierung anbieten, halten eine anfängliche Tilgung von 1,5 Prozent inzwischen für durchaus normal. Die Kreditplattform Interhyp meldet, dass der Anteil derjenigen, die vorhaben, eine Hundertprozentfinanzierung abzuschließen, gegenüber 2015 um fast 60 Prozent gestiegen ist – von 9,5 Prozent auf 15,1 Prozent der Baugeld-Interessenten. Nur zehn Prozent sind dagegen dazu bereit, mehr Eigenkapital einzubringen, um die steigenden Preise zu stemmen.

„Die Tilgungssätze sind vielleicht im Durchschnitt gestiegen, weil viele Haushalte ein ausreichend hohes Einkommen haben“, sagt Dübel. „Aber entscheidend für eine krisenhafte Situation ist das untere Marktviertel – jene Kreditnehmer mit geringem Einkommen, hohen Beleihungsausläufen und niedriger Tilgung.“

Damit es zu einer Kreditkrise kommt, sind keine massenweisen Ausfälle der Schuldner nötig, sagt Dübel: „Auch in den USA lag der Anteil der Kreditausfälle im Mitteleinkommenssegment nicht bei 30, sondern bei zwei bis drei Prozent. Das hat angesichts der dünnen Eigenkapitaldecke bei Wohnungsbaukrediten gereicht, um die großen Baufinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac pleitegehen zu lassen.“

Regierung plant ein neues Gesetz

Das Bankensystem und auch die Sparkassen seien auf grundlegende Marktänderungen wie steigende Zinsen und fallende Preise schlecht vorbereitet. „Wenn beispielsweise die Sparkassen weiterhin einen zu hohen Teil der Immobilienkredite über Einlagen finanzieren und Kreditlaufzeiten und Zinsbindungsfristen immer weiter nach oben gehen, könnten wir eine Sparkassenkrise bekommen“, so Dübel.

 

Die Bundesregierung ist sich der Gefahren, die aktuell bei Baufinanzierungen entstehen, offenbar bewusst. Bis zur nächsten Sommerpause soll ein Gesetz verabschiedet werden, das die Vergabe von Baudarlehen streng reguliert – für den Fall, dass der Markt überhitzt. Der Gesetzentwurf sieht eine Obergrenze für den Fremdfinanzierungsanteil vor. Außerdem kann eine Laufzeit festgelegt werden, innerhalb derer ein gewisser Anteil des Kredites zurückgezahlt werden muss. Auch eine Grenze für die Schuldentragfähigkeit eines Kreditnehmers könnte definiert werden. Viertens wäre möglich, dass eine Mindestrückzahlung verpflichtend vereinbart werden muss. Tilgungsfreie Kredite wären dann nicht mehr denkbar.

Für Kleinkredite soll allerdings eine Bagatellgrenze geschaffen werden, heißt es in der Bundesregierung. Auch Darlehen zur Finanzierung von Renovierungen und Sanierungen blieben unberücksichtigt, ebenso Anschlussfinanzierungen und der soziale Wohnungsbau. In bestehende Kredite solle nicht eingegriffen werden.

Über den Autor

Harry Mohr

Immobilienmakler (IHK)

Harry Mohr, Autor dieses Artikels

Harry Mohr

Immobilienmakler (IHK)

Harry Mohr ist Immobilienmakler und Inhaber des RE/MAX Immobilien Kontor. Als DEKRA-geprüfter Immobiliengutachter und Mitglied der RE/MAX Hall of Fame unterstützt er seine Kollegen und Mandanten in allen Bereichen der Immobilienvermarktung.